Nach der Ausbildung 1

Fachbücher

Am Anfang war die Unsicherheit. Vollgestopft mit Techniken und halbverdautem Wissen wurde ich als frisch diplomierte Kinesiologin auf die Menschheit losgelassen. Zu dieser Zeit war immer der Gedanke im Hinterkopf: „Mache ich „es“ richtig? Weiss ich genug?“ Die Antwort auf diese Fragen suchte ich in Weiterbildungen. Ich machte Kurs um Kurs, reihte Supervision an Supervision, las Buch um Buch. Dies half mir insofern ich dachte, im richtigen Moment eine passende Technik oder Übung aus dem Hut zaubern zu können, es also „richtig“ zu machen. Ich erinnerte mich an einen meiner Tanzlehrer, der seiner Klasse (wohlgemerkt, der Theaterklasse) in der ersten Stunde darlegte, dass ein guter Tänzer die Technik so gut beherrschen müsse, dass er sie vergessen könne.

Er erwartete Folgendes von uns:

Wir gaben ihm das:

Üben übt

Natürlich hatte der Lehrer recht. So lange ich noch überlegen muss, was eine „vierte Position“ ist, lebe ich diese Position nicht, ich führe sie aus. Mein Fokus ist geteilt: Einerseits muss ich überlegen, wie diese „vierte Position“ korrekt ausgeführt wird. Dies macht mich unsicher. Vielleicht zögere ich, da mein Hirn gerade überprüft, ob mein Fuss in der Vierten gestreckt sein muss oder nicht. Andererseits muss ich mich auch auf die Umgebung, die Musik, die andern Tänzerinnen und Tänzer etc. konzentrieren. Dies gelingt nicht vollständig, da mein Hirn ja damit beschäftigt ist, die Stellung meines Fusses zu überprüfen. Mein Gegenüber oder ein Publikum nimmt diese Unsicherheit wahr und interpretiert sie auf seine Weise. Gerade in einem Therapiesetting kann es passieren, dass der Klient oder die Klientin das Zögern oder die leichte Unsicherheit auf sich bezieht und denkt, etwas stimme nicht mit ihm oder ihr. Es würde den Rahmen dieses Artikels jedoch sprengen, vertieft auf nonverbale Kommunikation einzugehen. Hier geht es vielmehr darum, wie eine Unsicherheit durch trainieren und üben überwunden werden kann.

Denn – um auf das Tanzbeispiel zurückzukommen – habe ich die Technik verinnerlicht, ist mein Kopf frei für die Choreographie. Ich lebe den Tanz und führe ihn nicht nur aus. Passiert etwas Überraschendes, kann ich darauf reagieren. Ich werde „es“ richtig machen. Dies gilt natürlich auch im Sport: Laufen die grundlegenden Bewegungsabläufe automatisch ab, ist der Kopf frei für das Spiel oder den Parcours.

In der Arbeit mit Menschen bedeutet dies, dass ich das Handwerk beherrsche und mich dadurch auf den Menschen der mir gegenübersitzt konzentrieren kann.

Wann ist genug?

Das klingt jetzt furchtbar einfach und logisch. Doch wann habe ich als Therapeutin oder Therapeut genug Wissen angehäuft Wieviel Anatomie, Pathologie, Psychologie, Physiotherapie, chinesische Medizin, Chiropraktik, Heilkunde etc. muss ich beherrschen, bevor ich eine gute Kinesiologin bin? Ist es möglich, genug zu wissen oder „dörfs no bizzli meh sii“? Und dann ist da noch die Frage, ob es noch etwas anderes für die Arbeit mit Menschen braucht, als nur Fachwissen. Falls ja, was? Und wo kann ich das lernen oder kaufen? Ist „das“ überhaupt lernbar?

Sicher stellen sich nicht alle, die mit Menschen arbeiten solche Fragen. Wenn du diesen Artikel bis hierhin gelesen hast, könnte es jedoch sein, dass du sie dir so oder ähnlich stellst. In meinem nächsten Artikel werde ich dir deshalb Meinungen zum Thema vorstellen, die mich beeinflusst haben. Sie haben mir nach der Ausbildung als Therapeutin geholfen, zu erkennen, wann ich „es“ richtig mache und wann „es“ genug ist. Vielleicht helfen sie auch dir.