Perspektivenwechsel, nicht nur beim Tanzen

Bild des Savoy Ballrooms
Im Savoy tanzten die besten Lindy Hopper.

Irgendwie kreisen meine Gedanken heute um das Thema Perspektivenwechsel. Hängengeblieben bin ich beim Lindy tanzen. Lindy Hop ist ein Paartanz aus der Swing-Ära und sozusagen der Vater des Jive, Boogie Woogie und Rock’n’Roll. Aus der gleichen Zeit stammt der Jitterbug, den ich als Laie eigentlich fast nicht von Lindy Hop unterscheiden kann. Aber schau selbst:

Und ja, man kann Lindy (oder Jitterbug) auch langsamer tanzen 🙂

Aber in diesem Artikel soll es ja nicht eigentlich um den Stil, sondern vielmehr um die Rollen der Tanzenden gehen. Deshalb ein kurzer Blick auf die Rollen im Lindy.

Wer macht was?

Lindy Hop ist ein improvisierter Tanz. Es gibt ein paar Grundschritte und Figuren, die auf der Tanzfläche jedoch frei zusammengehängt und verändert werden können. Je geübter die Tanzenden sind, umso mehr werden sogenannte Variationen eingebaut und die Grundschritte lösen sich immer mehr auf, bis sie wieder in ihrer vollen Schönheit zurückkehren.

Damit dies funktioniert und keine Anarchie ausbricht, übernimmt eine Person die Führung (Leader). Die andere folgt den Vorschlägen des Leaders und lebt ihre Kreativität durch Stylings aus (Follower). Die Kommunikation geschieht über die sogenannte „Connection“, die Verbindung zwischen den Tanzenden. Diese entsteht dort, wo sich die Hände und die Körper berühren, aber auch durch das „Spiegeln“. Hier imitiere ich, was mir mein Gegenüber vorschlägt: Hält es meine Hand und sein Arm ist gebeugt, tue ich dies auch, macht es eine Grimasse und hüpft, tue ich dies ebenso.

Der Mann führt, die Frau folgt!

Ach was! Schau dir diese Videos (das erste ist leider ohne Ton) an:

Und was auf der normalen Tanzfläche funktioniert, funktioniert auch bei den Profis:

Die Rollen tauschen

Perspektivenwechsel heisst im Lindy Hop, die Rollen zu tauschen, als Follower also auch mal zu führen und umgekehrt. So kann man als Leader erleben, wie es ist, fünfmal hintereinander durch die selbe Tanzfigur gerissen zu werden und keinen Platz für die eigene Kreativität zu erhalten. Ein Follower weiss nach einem Rollenwechsel, wie schwierig es ist, während einer Figur bereits an die nächste zu denken, gleichzeitig auf die Musik zu hören, die andern Tanzpaare nicht zu rammen und noch zu wissen, was die eigenen Füsse und Arme so tun.

Verständnis und Respekt

Einmal zu probieren, wie es sich in der anderen Rolle anfühlt und welche Aufgaben sie hat, fördert den Respekt vor der Leistung des andern. Man lernt auch, das Gegenüber zu unterstützen, indem man die Erfahrung der anderen Rolle ins eigene Tanzen einbaut und zum Beispiel eine Figur nochmals in der eigenen Rolle analysiert und übt, damit es für das Gegenüber einfacher wird, diese Figur zu führen oder ihr zu folgen. Das ist zwar ein Aufwand, aber die Belohnung bleibt nicht aus: Das Tanzen macht (noch) mehr Spass.

Nicht nur beim Tanzen

Auch im Alltag gibt es Möglichkeiten, die Perspektive zu wechseln und sich in die Rolle des Gegenübers zu versetzen. In der Beziehung, in der Familie, bei der Arbeit, mit Freunden sich die Frage zu stellen

  • Wie fühlt es sich wohl an, jeden Tag …… zu müssen / zu dürfen / zu können?
  • Was würde ich in der Rolle als ….. tun / nicht tun?
  • Was sind die positiven Aspekte dieser Rolle?
  • Was macht an der anderen Rolle Spass?
  • Wie und wo würden mich diese positiven Aspekte beeinflussen, würde ich sie leben?
  • Wie würde mich die Rolle als ….. verändern?
  • Wie und wo kann ich die andere Rolle üben?

Aber auch

  • Wie fühlt es sich wohl an, mein Freund, meine Mutter, meine Chefin etc. zu sein?
  • Wie verändert sich meine Sicht auf meine eigene Rolle nach dem Perspektivenwechsel?
  • Gibts es Tabus in meiner Rolle oder darf ich mein ganzes Potential leben?
  • Wie kann ich meine eigene Rolle verändern / anders leben / aufbrechen?
  • Was ändere ich, um mein ganzes Potential leben zu können?
  • Hilft mir die andere Rolle, mein eigenes Potential zu wecken?
  • Welche Eigenschaft der anderen Rolle kann ich in meine eigene einfliessen lassen?

Zum Schluss möchte ich dir einen letzten Clip vorstellen, der diesen ganzen Post auf den Punkt bringt. Keine Worte mehr nötig 🙂

2 Kommentare

  1. Danke für den coolen Beitrag zum Tanzen! Wir schenken unserer Mutter einen Tanzkurs zum Geburtstag, weil sie das schon seit Jahren machen möchte. Gibt es besonders schonende Paartänze für Senioren?
    LG

    • Lieber Tobias, herzlichen Dank! Das Schöne am Tanzen ist, dass man jeden Tanz schonend ausüben kann – naja, vielleicht den Limbo nicht 😉 Gerade gestern war ich in Zürich im „El Boge“ (im Viadukt beim Bahnhof Hardbrücke) und wenn ich das Alter meiner Tanzpartnerinnen und -partner schätze, war der jüngste wohl so Anfang zwanzig und die Älteste ungefähr sechzig. An anderen Anlässen habe ich auch schon mit weit älteren Personen getanzt und es hat Spass gemacht. Mein liebster Nachbar ist Alleinunterhalter und spielt regelmässig in Altersheimen oder an Seniorennachmittagen zum Tanz auf. Klar, Aerials oder sonstige Akrobatik fallen weg und bei schnellen Tempi mach ich bereits mit Mitte fünfzig meine Moves in halftime 🙂 Aber um auf deine Frage zurückzukommen: Es gibt an vielen Orten Ü60 Tanzkurse in verschiedenen Stilen. Ich habe mal gegoogelt und bin in meiner Region auf drei Tanzschulen gestossen, die Ü60 Kurse anbieten. Wenn es eine gute Tanzschule ist, wird sie auch den Unterrichtsstil und das Tempo der Zielgruppe anpassen, so kann (fast) jeder Paartanz schonend getanzt werden. Und wenn deine Mutter Lindy Hop tanzen möchte, findest du bestimmt einen passenden Anlass hier: https://www.lindyhop.ch/

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