Was ist Feldenkrais?

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In diesem Gastbeitrag beschreibt die Limmattaler Feldenkrais-Lehrerin Monika Kaderli, wie man sich eine Feldenkrais-Lektion vorstellen kann und was man unter dem Begriff „Feldenkrais-Bewegungspädagogik“ versteht. Sie erklärt, wer Moshé Feldenkrais war, bei welchen Problemen seine Methode hilft und wem sie empfohlen wird.
Das Portrait von Monika findest du hier: hier.

Die Feldenkrais-Methode

Von Monika Kaderli, diplomierte Feldenkrais-Lehrerin

Die von Moshé Feldenkrais entwickelte und nach ihm benannte Methode kann als Bewegungspädagogik bezeichnet werden. Allerdings keine, die „Leibesertüchtigung“ und Schwitzen propagiert. Feldenkrais selbst schrieb: „Mich interessieren nicht bewegliche Körper, sondern bewegliche Gehirne.“ In der Feldenkrais-Methode wird deshalb versucht, durch bewusst ausgeführte und aktiv wahrgenommene Bewegungen die Qualität der Bewegung zu verbessern.

Grundsätzlich steht bei dieser Methode immer das eigene Lernen im Zentrum. Und man geht davon aus, dass die Bewegung nicht nur den Körper verändern kann, sondern auch auf das Denken und Handeln des Menschen insgesamt wirkt. Die persönliche Wahrnehmung und das Körperempfinden sind die Basis des persönlichen Lernens. Ebenso gilt:

  • Es gibt keine Beurteilung von falsch und richtig.
  • Es wird ohne Anstrengung bewegt.
  • Neugierde und Freude am Entdecken von Neuem sind unabdingbare Voraussetzung für das Lernen.

Gruppenunterricht: sich und seine Bewegungen wahrnehmen

Eine Feldenkrais-Lektion kann in der Gruppe oder Einzeln stattfinden. Im Gruppenunterricht leitet die Lehrerin einen Bewegungsablauf an, der die Verbesserung einer spezifischen Funktion wie z. B. Beugen, Strecken, Drehen, Aufrichten etc. als Ziel hat. Dies macht sie nur mit ihrer Stimme und ohne etwas zu zeigen. Auch diagonale, seitliche oder kreisende Bewegungen sind möglich. Es gibt kein Richtig oder Falsch. Alle machen die Bewegungen, so gut sie können und nehmen wahr, wie sie sich dabei fühlen: Wo geht es leicht? Wo harzt es? Wie fühlt sich mein Körper jetzt an und welche Bewegungen gehen jetzt einfacher? So wird das Bewusstsein nicht nur für den Körper, sondern für den ganzen Menschen geweckt. Feldenkrais nannte dies «Awareness through Movement (ATM)“ oder zu deutsch: „Bewusstheit durch Bewegung.

Einzellektionen: Nachhilfe für unser „Bewegungsgehirn“

Eine Einzelsitzung wird „Funktionale Integration (FI)“ genannt. Hier wird auf die individuellen Bedürfnisse des Schülers eingegangen. Die FI kann liegend, sitzend oder stehend gemacht werden. Durch leichte Berührungen, gezielte Unterstützung und präzise Bewegungen hilft die Lehrerin dem Schüler, funktionell richtige und einfache Bewegungsmuster zu entwickeln. Er lernt, mit dem Körper zu „verstehen“. Die Lehrerin erzwingt keine Bewegung. Sie arbeitet dort, wo es das Körper-Geist-System des Schülers akzeptiert. Zeigt sich ein Widerstand, wird dieser respektiert. Wie man sich das vorstellen kann, beschreibe ich in meinem Portrait. (Anmerkung rs: dieses wird bald aufgeschaltet werden.)

Durch verschiedene Bewegungen wird also eine neue Funktion integriert. Deshalb der Name „Funktionale Integration“.

Abgeschlossen wird eine Einzelsitzung durch ein „Vorher/Nachher“. Der Schüler nimmt wahr, wie sich sein Körper nun anfühlt. Nach einer FI sollte eine Bewegung einfacher sein als vorher. Dies kann z. B. auch bedeuten, dass weniger oder keine Schmerzen mehr da sind oder das Atmen leichter fällt, weil der Brustkorb geweitet ist. Je nachdem kann sich auch die Haltung generell verbessern.  Nicht umsonst heisst ein Buch von Feldenkrais „Bewusstheit durch Bewegung: Der aufrechte Gang“.

Für wen ist die Methode geeignet? Für wen nicht?

Im Feldenkrais ist man immer dabei, sich aktiv wahrzunehmen, sei es während man bewegt wird oder sich selber sanft und langsam bewegt. Die eigene Aufmerksamkeit ist immer nach innen gerichtet: Wie fühlt sich eine Bewegung an? Wie verändert sich das Spannungsniveau in meinem Körper nach einer Übung? Dies sieht man auch gut im Video weiter unten. Ich würde also jemandem, der sich lieber einfach hinlegen und konsumieren möchte, eher von dieser Methode abraten.

Geeignet ist die Methode

  • für gesunde und Kranke, Junge und Alte
  • bei akuten und chronischen Schmerzen
  • um die Bewegungsqualität zu verbessern, z. B. im Sport
  • um Problemen mit den Gelenken vorzubeugen
  • um das berufliche Potential auszuschöpfen, z. B. dank optimaler Haltung und flüssigen Bewegungen
  • bei Haltungsstörungen und Atembeschwerden
  • bei Problemen des Zentralnervensystems, wie z. B. Multiple Sklerose
  • zur Linderung von psychischen Problemen, z.B. bei Angstneurosen, Depressionen, etc.
  • um die Entwicklung von Kleinkindern mit zerebraler Parese zu fördern

Eigentliche Kontraindikationen sind mir nicht bekannt.

Der Mann hinter der Methode: Moshé Feldenkrais

Bei einer Methode, deren Name nach einem Menschen benannt ist, liegt die Frage nach dem Menschen selbst nicht fern. Wer also war dieser Moshé Feldenkrais?

Moshé Feldenkrais wurde 1904 in der Ukraine als ältestes von vier Kindern geboren. Als 15-jähriger machte er sich ohne Eltern mit dem Traum nach höherer Bildung, Unabhängigkeit und Freiheit auf den Weg nach Palästina. Er arbeitete auf dem Bau und finanzierte sich die Schule mit Nachhilfeunterricht. Während der Zeit in Palästina wurde er – damit er in Strassenkämpfen bestehen konnte – intensiv in Jiu Jitsu unterrichtet.

1928 zog er nach Paris, wo er Maschinenbau und Elektrotechnik studierte. Danach arbeitete er am Institut Pasteur und lernte nebenher Judo bei Jigoro Kano. Er erwarb als erster Europäer den schwarzen Gürtel, gründete den ersten Judo-Club in Frankreich, unterrichtete und schrieb auch zwei Bücher über Judo. 1940 floh er vor den Nazis nach England, wo er in einem Forschungszentrum arbeitete.

Aufgrund einer Knieverletzung begann er sich selbst zu erforschen. Er experimentierte mit kleinen, langsamen Bewegungen und beobachtete bis ins kleinste Detail, was bei diesen Bewegungen mit seinem Körper geschah. In Medizinbüchern informierte er sich über die Entwicklung der Körperfunktionen und das Nervensystem. Seine Ergebnisse diskutierte er mit Wissenschaftlern. 1949 veröffentlichte er aufgrund dieser Diskussionen sein Buch „Body and Mature Behaviour. A Study of Anxiety, Sex, Gravitation and Learning“.

In den fünfziger Jahren kehrte er nach Israel zurück und arbeitete dort für das Verteidigungsministerium. Er gründete das Feldenkrais Institut in Tel Aviv und begann, seine Methode weiter zu vermitteln. Er schrieb verschiedene Bücher und eröffnete in den siebziger Jahren in Nordamerika weitere Ausbildungsgänge. Dadurch erhielt die Feldenkrais Methode internationale Anerkennung.

Am 1. Juli 1984 starb Moshé Feldenkrais in Tel Aviv.

Bewegen und verändern

Wir können sehen, dass es nicht nur die unglaubliche Vielfältigkeit Moshé Feldenkrais’ war, die die notwendigen Kenntnisse und Werkzeuge für die Feldenkrais Methode lieferte. Die Bandbreite von so unterschiedlichen Feldern wie der Bauarbeit, dem Kampfsport, der Kernphysik sowie das grosse Interesse an der Funktionsweise des menschlichen Körpers zeigen, wie eine kreative Kombinationsfähigkeit Neues hervorbringen kann. Es war aber nicht nur die Kombination von Erlerntem, sondern immer auch die Kombination von Theorie und Erfahrung, Erfahrung am eigenen Körper und im eigenen Leben, ebenso wie grosse Neugier und Aufmerksamkeit für noch so kleine Details, die den Weg zu dieser Methode möglich machte.

Feldenkrais ging insgesamt der Frage nach, wie der Mensch funktioniert, sich entwickelt und wie sich Veränderungen bewirken lassen. Er war aus eigener Erfahrung davon überzeugt, dass sich Vieles verändern lässt. Dass Veränderungen häufig nicht umgesetzt werden können, schreibt er der Macht der Gewohnheit zu. Und vor allem auch dem Umstand, dass wir nicht aufmerksam genug durch unser Leben gehen. Im weitesten Sinn lassen wir uns nicht genug bewegen.

Ganzheitliches Lernen

Wenn Moshé Feldenkrais davon ausgeht, dass die Macht der Gewohnheit und mangelnde Aufmerksamkeit uns am Lernen hindert, muss zunächst erkannt werden, wie Lernen überhaupt funktioniert:

„Menschliches Verhalten ist komplex und grösstenteils erlernt. Dies gilt für Wahrnehmung, Bewegung, emotionales Verhalten und für die Art und Weise zu denken. Prägend für die Entwicklung des Menschen ist seine Möglichkeit, über Erfahrungen zu lernen. Das Kleinkind beginnt mit ersten unkoordinierten Bewegungen, später dem Greifen, Kriechen, Sitzen, sich Aufrichten, Stehen, Laufen, Sprechen, einen gewaltigen Lernprozess. Innerhalb dieses organischen Lernens macht das Kind seine Erfahrungen mit sich selbst und seiner Umwelt. Es entdeckt und erkundet spielerisch und entwickelt dabei seine Möglichkeiten zu agieren und zu reagieren.
Die Feldenkrais Methode orientiert sich an diesem ursprünglichen und ganzheitlichen Entwicklungsprozess, der auf der natürlichen Lernfähigkeit des Menschen basiert. Sie gibt uns die Möglichkeit, uns neu und um vieles bewusster zu erfahren und schafft so Grundlagen für weiteres Wachstum.“
(Quelle: http://www.feldenkrais.ch/site/index.cfm?id_art=18211&actMenuItemID=10330&vsprache=DE)

Die Macht der Gewohnheit durchbrechen

Als erwachsener Mensch wird ‚organisches Lernen’ nicht mehr auf die gleiche Weise betrieben. Das Bewusstsein muss jedoch kein Hindernis sein, sondern soll im Gegenteil helfen, mit Neugier und einer differenzierten Wahrnehmung die Aufmerksamkeit dorthin zu lenken, wo verändernde Erfahrungen möglichst gut umgesetzt und genutzt werden können. Gewohnheiten müssen durchbrochen werden, damit Neues entstehen kann.

Fazit

Lernen mit Feldenkrais ist ein freudvoller Prozess, der den ganzen Menschen einbezieht. Beim spielerischen Ausprobieren von neuen Bewegungen oder Bewegungsvarianten werden im Gehirn neue Verbindungen geknüpft. Die Fähigkeit des Nervensystems, im Gehirn neue Verbindungen herzustellen, ist ein grundlegender Bestandteil jeder echten Veränderung.